All About Clubhouse

Ein sprechendes Netzwerk für stille Zeiten

Bild von Martin Niedermeier Martin Niedermeier 30. März 2021 9 Minuten Lesedauer
Mikrofon und eine "On Air" Anzeige.

Ob Kunst, Mode – oder soziale Netzwerke: Sie alle sind immer auch ein Spiegel ihrer Zeit, reflektieren gesellschaftliche oder technologische Trends. Zum Beispiel wäre die vor etwa zehn Jahren begonnene Erfolgsgeschichte Instagrams nicht vorstellbar ohne Handys mit hochauflösenden Kameras, die genau zu seiner Entstehungszeit aufkamen und das flächendeckende, semiprofessionelle Fotografieren ermöglichten. Auch die Zweitausendzwanziger Jahre haben nun „ihr“ Social Network hervorgebracht. Denn auch wenn der unmittelbare Hype (übrigens bedeutet das griechische Wort "hyper" in seiner deutschen Übersetzung soviel wie „über das Ziel hinaus, übermäßig") logischerweise enden muss, dürfte die Zukunft gesichert sein: Denn tatsächlich trifft Clubhouse so präzise den heutigen Zeitgeist, wie es zuletzt in den Zweitausendzehnern bei Instagram der Fall war.

Ereignishaftigkeit in einer ereignislosen Zeit

Clubhouse erscheint in einer stillen Zeit. Einer Zeit, die den menschlichen Aktionsradius weitgehend auf Homeoffice und eigene Wohnung, extrem beschränkte Kontakte und nötigste Einkäufe beschränkt und damit enorme Lücken offenlässt. Nach Monaten ohne gesellschaftliches Leben haben Menschen ausgeprägten Rede- und Erlebnisbedarf. Clubhouse bringt in diesem Spannungsfeld das Gespräch zwischen Fremden – in digitaler Form – zurück auf die Agenda. Ein Post oder ein Tweet haben eben keine Entwicklung, sie sind in sich abgeschlossen. Gespräche dagegen können eine Wendung nehmen und Unerwartetes bringen – ein wahrer Seltenheitswert in Zeiten von Quarantäne und Ausgangssperre.

„Sinn-Stiftung“ im ganz wörtlichen Sinne

Mit E-Mail, Direct Messaging und Datasharing lässt sich die Arbeit im Homeoffice durchaus funktional organisieren. Dennoch bleibt etwas auf der Strecke: Der Mensch ist eben nicht nur ein Augentier, sondern ein Sinneswesen. Und wenn das Leben weitgehend virtuell – ohne Stadtluft in der Nase, Sonne auf der Haut oder der lebhaften Fußgängerzone im Ohr – abläuft und der Bildschirm der einzige Fixpunkt ist, dann stellt sich immer mehr ein Phänomen ein, das Wissenschaftler schon zuvor als „sensorische Verarmung“ bezeichnet haben. Sprache ist in dieser Zeit ein willkommener Stimulus. Der Fokus auf das reine Zuhören und Sprechen verleiht Clubhouse eine gewisse unmittelbare Nähe, ja fast schon Intimität – gerade durch den Verzicht auf die Optik.

Burst your bubble

Nicht erst seit der letzten US-Wahl diagnostizieren immer mehr Menschen eine zunehmende „Polarisierung“ des gesellschaftlichen Diskurses. In Echokammern und Kommentarspalten wird viel übereinander geschrieben – und sehr selten miteinander geredet. Der unmittelbarere Kontakt des gemeinsamen Sprechens kann hier Gräben wieder ein gutes Stück weit überwinden. Denn die Stimme macht das Gegenüber eben deutlich präsenter als der kurze Text. Dadurch kann Clubhouse einen schon fast zivilisierenden Effekt entfalten – solange die dort versammelten ausreichend divers bleiben und nicht zu geschlossenen „Meinungsbubble“ mutieren.

Der neue Mut zum Inhalt

Lange Zeit galt für Medien und deren Inhalte die Direktive: „Fasse dich kurz – niemand mag zu viel Text, zu lange Interviews, zu komplexe Information“. Formate wie der Joe Rogan Podcast im englischsprachigen Raum oder „Jung & Naiv“ in Deutschland beweisen jedoch, dass es auch und gerade in der jüngeren Hälfte der Gesellschaft die Lust und die Bereitschaft gibt, sich intensiv mit Themen zu beschäftigen. Und genau diese fundierten Inhalte finden sich auf Clubhouse. Auch das Flüchtige der Diskussionen passt paradoxerweise sehr gut zu diesem Gedanken. Denn an das, was hier gesagt wird, muss man sich erinnern – kann man es doch nicht wie etwa ein YouTube-Video beliebig oft wiederholen. Genaues Zuhören auch über längere Zeit ist also Voraussetzung.

Beyond the Hype: Wie die Zukunft aussehen könnte

Wie also könnte die weitere Entwicklung des Clubhouse-Trends aussehen? Explodierendes Wachstum, stabiles Etablieren, schnell verpuffender Hype? Mit Sicherheit haben die besonderen Bedingungen und Beschränkungen der letzten Monate dem Netzwerk in die Hände gespielt. Doch auch nach einer erneuten Normalisierung des Lebens sollten seine langfristigen Chancen nicht schlecht stehen: Zu charmant ist der „USP“ der Sprache, zu groß die Nachfrage nach Austausch jenseits begrenzter Zeichenzahlen. Worauf es ankommen dürfte: Die Etablierung eines idealen Usertypus für das Netzwerk - eben der "Creators", die sich nicht als alleinige "Rampensau" sehen wie ihre Nachbarn auf Instagram und Co - sondern die diese Bühne mit weiteren Creators, Moderator*innen, Expert*innen und Diskutanten teilen. Und in der Breite ein möglichst heterogenes, diverses Publikum mit dem entsprechend vielfältigen Meinungsklima. Denn zu geschlossen sollte die Gesellschaft im Clubhouse auf keinen Fall werden.

Bild von Martin Niedermeier
Autor: Martin Niedermeier

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